Linke und liberale Parteien sagen nahezu geschlossen Ja zur Ehe für alle, warum?
Es gehört nicht zur Tagesordnung, dass linke und liberale Parteien mit voller Leidenschaft für dasselbe Anliegen kämpfen. Die Abstimmung zur Ehe für alle stellt eine dieser seltenen Situationen dar. Die Parteien von beiden Seiten überbieten sich mit nahezu einstimmigen Parolenfassungen. Unweigerlich stellt sich die Frage, ob hier linke und liberale Parteien dieselbe Meinung haben, oder ob sie zwar für dieselbe Sache kämpfen, aber aus unterschiedlichen Motiven. Dieser Blog-Beitrag möchte dieser Fragestellung auf den Grund gehen und so auch über den 26. September 2021 hinaus ein Verständnis für die Gemeinsamkeiten von Linken und Liberalen schaffen.
Das Schweizer Parlament hat am 18. Dezember 2020 mit grosser Mehrheit entschieden, dass die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werden soll. Diese Gesetzesänderung ist ein wichtiger und lang ersehnter Schritt in Richtung Gleichberechtigung von homo- und bisexuellen Paaren mit heterosexuellen Paaren in der Schweiz. Ein Komitee aus Vertreter*innen der SVP, EDU und EVP haben anschliessend das Referendum gegen die Gesetzesänderung ergriffen. Deshalb kommt die Vorlage am 26. September 2021 zur Abstimmung.
"Der Staat soll sich nicht in die individuelle Familienplanung einmischen", so die Liberalen: "Hoch lebe das Individuum!"
Klassischerweise halten Liberale die Freiheit des Individuums sehr hoch, die aktuelle Gesetzeslage ist jedoch weit entfernt von Freiheit. Einer Person, welche nicht heterosexuell ist, wird im Moment die Heirat verboten. Ohne objektive Begründung. Nicht von irgendjemandem, sondern vom Staat höchst persönlich. Die aktuelle Gesetzeslage ist nichts weniger als das Sinnbild eines völlig ausufernden Staates, der sich in Dinge einmischt, bei denen definitiv kein Bedarf an einer Staatsintervention vorliegt. Dass gesellschaftsliberale Personen hier toben, liegt auf der Hand.
Wenn man sich auf der Webseite der FDP über die Ehe für alle schlau machen möchte, so findet man als Erstes Sätze wie diesen: "Mehr individuelle Freiheit dank Ehe für alle -
Der Staat hat weder moralisierend noch wertend in unser Privat- und Familienleben einzugreifen. Homo- und heterosexuelle Paare sollen daher dieselbe eheliche Bindung eingehen können."
Bereits im ersten Satz wird von individueller Freiheit gesprochen und der Staat wird an die Leine genommen. Es mag aber viele überraschen, auch in liberalen Kreisen wird häufig das Argument der Gleichstellung bzw. Gleichberechtigung genannt. Das hat aber nichts damit zu tun, dass die Jungfreisinnigen oder die FDP nach links gerutscht wären, so wie dies viele Medienhäuser gerne behaupten. Vielmehr liegt die Ursache darin, dass ohne Gleichberechtigung kein liberales System funktionieren kann. Jede Person muss exakt die gleichen Chancen auf Wohlstand und Wohlfahrt haben.
Um die gleiche Wohlfahrt erreichen zu können, muss jeder Person das Recht auf Heirat zugesprochen werden. Wichtig ist zu betonen, die eingetragene Partnerschaft stellt keine brauchbare Alternative zur Ehe dar, dazu bitte folgende Galerie durchblättern:
Kurzinterview mit Jill Nussbaumer
Vice-Präsidentin der Jungfreisinnigen Schweiz
Was müsste passieren, falls die Bevölkerung am 26. September Nein zur Ehe für alle sagen würde? (Die Ehe gleich ganz abschaffen?).
2016 lehnte das Stimmvolk die Volksinitiative der damaligen CVP, heute bekannt als die Mitte, knapp ab. Die Initiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» wollte nicht nur die steuerliche Heiratsstrafe abschaffen, sondern auch die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau in der Verfassung festschreiben. Letzteres war für einen grossen Teil der Gegner der Grund, diese Vorlage abzulehnen. In der Konsequenz haben die FDP Frauen eine Initiative zur Individualbesteuerung lanciert, welche sich in erster Linie darin unterscheidet, dass sie für alle Paare gilt.
Analog dazu würde ich eine Folgelösung bei einer Ablehnung der «Ehe für alle» vorschlagen. Sollte das Gesetz tatsächlich abgelehnt werden kann ich mir gut vorstellen, dass der Hauptgrund der Ehebegriff ist, was laut Tamedia-Umfrage das zweithäufigste Contra-Argument ist. So sieht ein Teil der Gegner den Begriff der Ehe einzig als Verbindung zwischen Mann und Frau. Denn der Begriff wird auch für das katholische Sakrament und die reformierte Trauzeremonie verwendet. Um wie bei der Initiative zur Individualbesteuerung den Hauptablehnungsgrund aus der Vorlage zu lösen, müsste ein neuer Vorschlag die zivilrechtliche und kirchliche Ehe schärfer trennen. Dies könnte zum Beispiel mit der Umbenennung des Zivilstandes geschehen.
Laut Tamedia-Umfrage ist der häufigste Grund jedoch, dass gleichgeschlechtliche Paare mit der eingetragenen Partnerschaft heute bereits ausreichend geschützt seien. Zwar muss ich dem vehement widersprechen, weil ohne erleichterte Einbürgerung, ohne Trauzeugen, ohne Ja-Wort und ohne gemeinsame Adoption unterscheidet sich dieser Zivilstand in wichtigen Punkten von der Ehe. Nicht zuletzt legt der Zivilstand der eingetragenen Partnerschaft in jedem Formular offen, dass es sich um eine gleichgeschlechtliche Beziehung handelt und outet damit die Personen ungewollt. Trotzdem müsste eine Ablehnung aus diesem Grund wohl so interpretiert werden, dass die Gesellschaft nicht bereit für vollständige Gleichstellung ist.
Auch viele andere Mitglieder deiner Partei setzen sich lautstark für die Ehe für alle ein. Handelt es sich um ein «ur-liberales» Anliegen?
Kein Wunder bewegt die Vorlage der «Ehe für alle» die Freisinngen besonders, denn die Ehe ist ein urliberales Konstrukt. Diese eigenverantwortliche Absicherung zwischen zwei Menschen und deren Nachwuchs ist deshalb wichtig, weil es eine freiwillige, private Sicherheit beinhaltet. Somit muss in erster Instanz nicht der Staat einspringen. Aus diesem Grund ist es wünschenswert, dass dieses Versprechen der gegenseitigen Fürsorge und Liebe allen Menschen zusteht. Zudem bringt es FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter auf den Punkt: «Der Staat soll den Menschen nicht vorschreiben, wie sie ihr Privat- und Familienleben zu gestalten haben.»
Die Jungfreisinnigen kämpfen nicht nur für die Ehe für alle, sondern werden sich auch gegen die 99% Initiative der JUSO einsetzen. Bereits sehr früh kann man eine hohe Mobilisierung für die Ehe für alle feststellen. Dies könnte dazu führen, dass sehr viele linke Wähler aus den Städten mobilisiert werden, welche dann nicht nur Ja zur Ehe für alle, sondern auch Ja zur 99% Initiative stimmen könnten. Wie wollt Ihr von den Jungfreisinnigen sicherstellen, dass dies nicht passieren wird?
Tatsächlich sagt laut Tamedia-Umfrage die Mehrheit der Stadtbevölkerung Ja zur 99% Initiative während sich in der Agglo und auf dem Land mehr Gegner als Befürworter finden. Wir Jungfreisinnigen haben in beiden Vorlagen einstimmig die Parole gefasst und betreiben online wie auch auf der Strasse einen sehr engagierten Abstimmungskampf.
Unser Auftrag bei der 99% Initiative in Bezug auf den Stadt-Land-Graben ist sicherlich zu zeigen, dass die Initiative besonders in den Städten Schaden anrichtet. Gerade in urbanen Gebieten sind Startups beliebt, welche stark unter der Initiative leiden würden. Nicht nur Gründerinnen und Gründer, sondern auch Angestellte im Besitz von Geschäftsanteilen würden mit der Initiative für ihre Risikobereitschaft und ihr berufliches Engagement mit der Zusatzsteuer bestraft. Der Jungfreisinnige Jungunternehmer Raphael Tobler hat dies an der Medienkonferenz der Jungparteien eindrücklich erklärt. Lohnt sich das Gründen nicht mehr, gehen auch die Städte leer aus.
Was ist deine persönliche Motivation dich für die Ehe für alle einzusetzen?
Die «Ehe für alle» überzeugt mich auf ganzer Linie. Aus meiner Sicht gibt es keinen akzeptablen Grund der dagegen spricht, dass allen Menschen das Recht der Eheschliessung zusteht. Denn jede Person, welche keine gleichgeschlechtliche Ehe eingehen will, hat die Freiheit dies nicht zu tun und wird von der Änderung des Zivilgesetzbuches weder finanziell noch persönlich eingeschränkt. Zwar ist das Familienrecht in einigen Punkten wie Besteuerung, Hinterlassenenrenten und Erbrecht aus meiner Sicht veraltet. Jedoch werden diese Defizite voraussichtlich in naher Zukunft ausgebessert.
Dazu kommt für mich noch der ganz persönliche Grund, dass ich selbst auch mit einer Frau zusammenlebe. Manche würden mich wohl eine hoffnungslose Romantikerin nennen, wenn ich sage, dass es mir nicht reicht, meine Partnerin amtlich eintragen zu lassen. Es ist für mich nicht genug, ohne die Anwesenheit von Trauzeugen und ohne Ja-Wort einen Vertrag zu unterschreiben. Anders sieht es aus, wenn die Schweizer Bevölkerung am 26. September Ja zur «Ehe für alle» sagt. Dann darf auch ich meine grosse Liebe zu meiner Frau machen.
Weitere Informationen zu Jill Nussbaumer
"Der Staat soll alle Menschen gleichbehandeln" so die Linken
Nun stellt sich die Frage, ob linke Kreise ebenfalls Ja zur Ehe für alle stimmen, weil sie den völlig ausufernden Staat bremsen wollen. Wenn Sie anschliessend das Interview mit Tanja Blume lesen, so werden Sie schnell feststellen, der Staat scheint nicht per se das Problem zu sein. Sondern viel mehr das Patriarchat, in welchen wir leben. Es scheint, als sei das Gesamtsystem aus Wirtschaft, Staat und Gesellschaft die Ursache der aktuellen Ungleichheit in diesem Bereich.
Interessant ist beispielsweise Folgendes. Analysiert man den folgenden Text, in welchem die Grünen beschreiben, weshalb sie sich für die Ehe für alle einsetzen:
"Wir GRÜNE wollen in einer Gesellschaft leben, in der gleichgeschlechtliche Paare die gleichen Rechte haben wie heterosexuelle Paare. Die sexuelle Orientierung hat nichts mit dem Recht eine Ehe einzugehen zu tun. Für die GRÜNEN geht es um eine Frage der Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung. Diese Grundsätze sind in der Bundesverfassung verankert. Wir GRÜNE freuen uns, dass mit dem neuen Gesetz auch Frauenpaare Zugang zu den Verfahren der Fortpflanzungsmedizin erhalten. Gleiche Rechte für alle soll nicht nur bei der Ehe gelten, sondern auch bezüglich Elternschaft.
Als progressive Partei setzen wir GRÜNE uns seit unserer Gründung für die gesellschaftliche Öffnung und die gesetzliche und tatsächliche Gleichstellung aller Menschen und Lebensformen ein. Wir GRÜNE sind überzeugt, dass Gleichstellung, Toleranz, Vielfalt und gegenseitiger Respekt die Richtschnur für ein gutes Zusammenleben sind und setzen uns deshalb engagiert gegen dieses Referendum ein."
So stellt man fest: Man findet keine Worte wie "Freiheit", "Individualismus" oder "(Gesellschafts)-liberalismus". Selbes stellt man auch im Interview mit Tanja Blume fest. Vielmehr setzen linke Kreis auf "Vielfalt", "Gleichheit" oder "gesellschaftliche Öffnung".
Kurzinterview mit Tanja Blume
Co-Präsidentin JUSO Kanton Bern
Was müsste passieren, falls die Bevölkerung am 26. September Nein zur Ehe für alle sagen würde? (Die Ehe gleich ganz abschaffen?).
Das wäre wirklich schlecht, denn solche Abstimmungen haben jeweils eine enorme Bedeutung, die über die Inhalte der einzigen Vorlagen hinausgehen. Wenn wir am 26. September Ja zur Ehe für alle sagen, setzen wir auch ein Zeichen für Vielfalt und zeigen queeren Menschen, dass sie Teil unserer Gesellschaft sind. Deshalb muss unbedingt ein grosser Anteil an Ja-Stimmen her! Ich bin aber optimistisch, dass wir das schaffen.
Die Ehe ganz abzuschaffen oder – noch besser – sich modernere Rechtsinstitute auszudenken, welche den heute gelebten Beziehungen gerecht werden, fände ich sinnvoll. Am wichtigsten ist jedoch, egal ob ein Nein oder Ja herauskommt: Wir müssen weiter für die Gleichberechtigung von queeren Menschen einstehen! Denn diese ist noch lange nicht erreicht. Auch mit der aktuellen Vorlage werden frauenliebende Frauen im Vergleich zu heterosexuellen Frauen immer noch benachteiligt. Das müssen wir ändern!
Was ist deine persönliche Motivation dich für die Ehe für alle einzusetzen?
Ich bin Feministin und für mich ist sonnenklar, dass Feminismus sich auch für queere Personen einsetzen muss. Wir leben in einem Patriarchat, wo eine klare Vorstellung davon herrscht, wie „Frauen“ und „Männer“ auszusehen haben und wie sie Beziehungen leben müssen. Dabei gibt es so viele Identitäten jenseits der cis-hetero-Norm! Diese werden übersehen und unterdrückt. Mit einem Ja zur Ehe für alle machen wir einen grossen Schritt in Richtung Gleichberechtigung von queeren Menschen.
Auch viele andere Mitglieder deiner Partei setzen sich lautstark für die Ehe für alle ein. Handelt es sich um ein «ur-linkes» Anliegen?
Inzwischen sind es nicht nur rote und grüne Parteien, welche sich für queere Anliegen einsetzen. Das freut mich, weil es wichtige Anliegen sind, welche jetzt endlich Gehör finden müssen. Deshalb kämpfe ich gerne mit Freisinnigen, Menschen aus der Mitte und sogar einigen aus der SVP zusammen für die Ehe für alle.
Jedoch ist klar: Ich bin gegen Regenbogen-Kapitalismus. Sich die Gleichberechtigung auf die Fahne zu schreiben, wenn man dann queeren Geflüchteten keinen Schutz bietet, ist halt ziemlich heuchlerisch. Die erste Pride war übrigens kein Event in Zürich, wo man nur mit Kreditkarte bezahlen kann, sondern ein Aufstand in den USA, der sich gegen die Repression wehrte, welche die Polizei gegen Homosexuelle und trans Personen betrieb.
LGBTIQ+ Menschen werden nicht nur rechtlich, sondern auch in anderen Bereichen diskriminiert. So werden sie beispielsweise auch häufiger Opfer von Gewalt. Sollte der Rechtsstaat hier nicht härter durchgreifen und eine restriktive Law&Order Politik betreiben?
Es braucht gar nicht einmal eine harte law & order Politik. Das Problem beginnt schon viel früher: Es wird nämlich nicht einmal eine Statistik darüber geführt, wie oft queere Menschen Opfer von Gewalt werden. So kann sich unsere Gesellschaft dem Problem gar nicht bewusst sein und auch keine Prävention betreiben.
Auch in anderen Bereichen sollten wir bessere Aufklärung leisten und Stereotype durchbrechen: Es darf nicht sein, dass Lesben bloss als Pornokategorie gesehen werden, dass Männer und männlich gelesene Personen keine Röcke tragen dürfen und dass „schwul“ auf den Pausenplätzen in den Schulen immer noch als Schimpfwort benutzt wird!
Das können und müssen wir als Gesellschaft besser machen – nach dem Ja zur Ehe für alle am 26. September kämpfen wir weiter für eine queerfeministische Welt!
Weitere Informationen zu Tanja Blume
Das Smartvote-Profil von Tanja Blume (Nationalratswahlen 2019):
https://www.smartvote.ch/de/group/2/election/19_ch_nr/db/candidates/44200006629
Weitere Informationen über die JUSO Kanton Bern:
https://be.juso.ch/
Die GLP - die goldene Mitte?
Wenn sich die liberale FDP und die linke SP einig sind, dann müsste folgerichtig auch die links-liberale GLP die Vorlage unterstützen. Doch die GLP unterstütz dir Vorlage nicht nur, sie ist gar die ursprüngliche Urheberin der Ehe für alle in der Form wie wir darüber abstimmen. Konkret hat Kathrin Bertschy und mit der GLP-Fraktion 2013 (vor rund 8 Jahren!) die Parlamentarische Initiative "Ehe für alle" eingereicht. Seither haben die Gegner*innen aus SVP, EDU, EVP und konservativen Teilen der CVP (rund um Beat Rieder) mit allen Mitteln versucht die Initiative zu verwässern und hinauszuzögern. Teilweise sogar mit Erfolg, insbesondere was das Hinauszögern angeht.
Kurzinterview mit Michael De Vita-Läubli
Präsident GLP Bezirk Uster
Was ist Ihre persönliche Motivation sich für die Ehe für alle einzusetzen?
Zu einem bin ich selbst betroffen und trage seit sieben Jahren den Zivilstand «in eingetragener Partnerschaft». Mit diesem Zivilstand gibt man unfreiwillig in diversen Situationen immer wieder seine sexuelle Orientierung bekannt. Zum Beispiel muss ein Schweizer Arbeitgeber stets den Zivilstand erfassen – hierbei wird meine sexuelle Orientierung automatisch bekannt. Auch wären wir bei einer allfälligen Trennung nicht geschieden, sondern «in aufgelöster Partnerschaft». Nicht dass wir dies vorhätten, dieser Umstand zeigt aber auf, welche für uns störenden Etiketten in der Schweiz weiterhin verteilt werden. Im Übrigen wären wir froh, wenn wir im Güterrecht endlich auch die gleichen Rechte haben dürfen, damit wir einander erbrechtlich optimal begünstigen können. Denn als verpartnertes Paar haben wir nach aktueller Rechtslage kein Recht auf den Güterstand der Gütergemeinschaft.
Schliesslich setze ich mich aber auch allgemein für eine gesellschaftsliberale Politik ein, in welcher der Staat keine Unterschiede zwischen den Bürgern machen soll. Dieser Schritt für die Ehe für Alle ist längst nötig, damit die gesellschaftliche Realität anerkannt wird. Dieser Schritt ist kein Experiment, noch revolutionär, da z.B. die Niederlande seit 20 Jahren die Ehe von gleichgeschlechtlichen Paaren kennt.
Die GLP wird häufig als eine «links-liberale» Partei eingestuft. Ist die Ehe für alle in Ihren Augen eher ein linkes oder ein liberales Anliegen?
Für mich ist die glp eine liberale Partei, welche soziale Anliegen ernst nimmt. Sie verfolgt eine progressive Politik. Das Thema Ehe für Alle ist für mich aber klar ein gesellschaftsliberales Anliegen, zumal ich meist die Forderung der Abschaffung der Ehe von linker Seite höre. Aus Sicht der Gleichstellungsthematik ist es aber auch ein linkes Anliegen. Liberal ist es für mich hingegen, da der Staat keine Unterscheidung der Bürger in Ehepaare und eingetragene Paare machen soll. Er hat alle Menschen gleich zu behandeln.
Es gibt verschiedene Abkürzungen der Community, LGBTIQA+ beinhaltet beispielsweise auch asexuelle Menschen. Eine hetero-asexuelle Person profitiert eigentlich nicht direkt von der Ehe für alle. Doch durch die nun angestossene Diskussion könnte es sein, dass das gesellschaftliche Verständnis und Toleranz für die gesamte LGBTIQA+ Community steigt. Glauben Sie daran, dass dies passieren wird?
Ich gehe sehr davon aus. Und zwar steigert sich nicht nur das Verständnis und die Toleranz nach Aussen, sondern auch innerhalb der Bewegung. Jahrelang haben uns z.B. auch Transmenschen bei «unseren» Anliegen unterstützt, obwohl sie meistens nicht davon profitiert haben. So wurde bei der Änderung des Strafgesetzbuches («Ja zum Schutz vor Hass»), welche die Schweizer Stimmbevölkerung am 9. Februar 2020 klar angenommen hat, die Diskriminierung und der Aufruf zum Hass gegen Transmenschen vorgängig aus der Vorlage gekippt und trotzdem haben uns Trans unterstützt. Nach der Abstimmung zur Ehe für Alle werden wir viel erreicht haben und nun ist es erst recht an der Zeit, dass sich die LGB auch stärker z.B. für Transrechte einsetzen.
Weitere Informationen zu Michael De Vita-Läubli:
Gibt es eine links-konservative Strömung in der Schweiz?
Leider arbeiten viele noch immer mit dem veralteten und ungenauen Links-Rechts Schema, wenn man versucht politische Strömungen oder Parteien im politischen Umfeld darzustellen. Sogar das offizielle Bundeshaus verwendet im «Der Bund kurz erklärt 2020» diese Achse (siehe Bilder). (Zur Info, «Der Bund kurz erklärt» wird an zahlreichen Schulen für die staatspolitische Bildung als Lehrmittel eingesetzt).
Es zeichnete sich bereits sehr früh ab, dass es kein Kampf «Links gegen Rechts» oder «Links gegen Bürgerlich» werden wird. Sondern es wird in erster Linie ein Abstimmungskampf zwischen Progressiven und Konservativen. Ein konkretes Beispiel: Die Jungfreisinnigen (JF) Aargau bereits sehr früh einstimmig(!) die JA-Parole zur EfA gefasst. Später, aber noch immer eher früh folgte die EVP mit einer Nein-Parole, welche intern bestimmt umstritten war. Man darf aber zu Recht behaupten (und «der Bund kurz erklärt» bestätigt dies), dass die Jungfreisinnigen deutlich weiter «rechts» stehen als die Kolleg*innen bei der EVP.
Dennoch: Für viele mag es eine politikwissenschaftliche Spitzfindigkeit sein, für andere ist es hingegen eine grosse Sensation. Noch nie konnte man klar beweisen, dass es politische Strömungen gibt, welche «Links-Konservativ» sind.
Die Strömungen «Links-Progressiv» (Grüne und SP) und «Rechts-Konservativ» (EDU und Teile der SVP) dürften längst bekannt sein. Auch die «Rechts-Progressiven» haben sich längst in Form der FDP / JF (Jungfreisinnige)/(insbesondere deren libertären Flügeln) zu erkennen geben. Nun gesellen sich dort mehr und mehr auch Teile der SVP hinzu. Wenn man die EVP-Parolenfassungen der letzten Jahre, insbesondere die von gestern, analysiert, kommt man eindeutig zu folgendem Schluss: Es gibt auch eine «Links-Konservative» Strömung.
Fazit
Die Achsen Links – Rechts und Progressiv – Konservativ verlaufen somit komplett unabhängig voneinander!
Die politische Meinungsbildung ist genauso divers wie auch das Geschlecht und die sexuelle Orientierung. Die Welt ist nicht schwarz-weiss, sie ist bunt.
Bei der Ehe für alle lässt sich klar sagen: Hier kämpfen Progressive gegen Konservative.
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