Profitiert China von den olympischen Spielen?
Auf der einen Seite kann China mit den olympischen Spielen zeigen, dass es in der Lage ist sichere, faire und erfolgreiche Grossanlässe durchzuführen… Selbst zu Pandemiezeiten.
Auf der anderen Seite berichten die weltweiten Medien deutlich mehr über China und umso mehr berichtet wird, umso eher wird auch über fragwürdige Handlungen von China berichtet. So hat der Berliner Thinktank Merics 117 China-Expert*innen befragt, ob diese mit einem positiven oder negativen Eindruck auf die Bevölkerung in Europa rechnen. Rund 62% der befragten Expert*innen gehen davon aus, dass die Volksrepublik China einen negativen Eindruck hinterlassen wird. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, schliesslich ist die Liste solcher fragwürdigen Handlungen lang:
Imperialismus: Sichtwort Taiwan und Hongkong, aber auch Staaten wie Japan, Südkorea, Neuseeland und Australien sehen ihre Unabhängigkeit zunehmend durch China gefährdet.
Zahlreiche Menschenrechtsverletzungen: Beispielsweise am Volk der Uiguren und in Tibet.
China destabilisiert teilweise die globale Wirtschaft. Sowohl die Halbleiterkrise wie auch die COVID-19 Pandemie haben ihren Ursprung in China. Inwieweit China für diese Krisen zur Verantwortung gezogen werden kann/soll, ist eine andere Frage. Dennoch trug China in den letzten Jahren wenig zu einer stabilen Wirtschaft bei. Auch wenn die Wachstumszahlen sehr beeindruckend sind und China grosse Erfolge in der Armutsbekämpfung erreicht hat und weiterhin erreichen wird.
Fragwürdige Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit. In China wird die Sicherheit der Bevölkerung massiv höher gewichtet als deren Freiheitsrechte.
Massiv eingeschränkte Pressefreiheit. Regierungskritische Medien werden in China häufig systematisch stumm geschaltet und selbst harmlose satirische Beiträge werden teilweise strafrechtlich verfolgt.
Mittelmässige Umweltbilanz der Winterspiele: Obwohl China die Winterspiele so umweltfreundlich wie möglich gestaltet. Aufgrund der wettertechnischen Bedingungen in China musste beispielsweise deutlich mehr Kunstschnee eingesetzt werden, als wenn die Spiele beispielsweise in der Schweiz/Österreich oder in Norwegen/Schweden stattgefunden hätten.
Teile der Olympischen Spiele finden inmitten eines Industriequartiers statt. Viele sehen darin eine Dystopie und sehen die Winterspiele verschandelt. Man sollte aber auch beachten, dass ein solcher Standort auch sehr gut erreichbar ist und beispielsweise nicht in einem Naturschutzgebiet liegt. Zudem sollte man nicht vergessen, auch der Kreis 5 in Zürich war einmal ein Industriequartier, heute ist es das modernste und offenste Quartier von allen. Auch China soll und muss diese Entwicklung durchmachen können.
Ein "lustiges" Beispiel, welches die ernsthaften Probleme in China gut aufzeigt
Der süsse Bär Winnie Pooh ist in China in Ungnade gefallen. Der Kinderbuchbär wurde weitgehend aus den sozialen Netzwerken der Volksrepublik verbannt. Der Grund: Präsident Xi Jinping wurde im Internet wiederholt in Montagen abgebildet, in denen eine Ähnlichkeit zwischen Xi Jinping und dem honiggelben Bären aufgezeigt wurde.
Zugegeben, die Ähnlichkeit ist tatsächlich verblüffend.
Eine solche Medienzensur ist aber sinnbildlich für die Probleme in China. Obwohl China heute sehr stark ist, sowohl in wirtschaftlichen wie auch in militärischen Fragen. So scheint die Regierung in Peking nach wie vor grosse Angst vor demokratischen Strukturen, Diversität und Pressefreiheit zu haben. Xi Jinping setzt die Priorität nach wie vor auf den Ausbau von Wohlstand, Sicherheit und globalem Einfluss. Was vielen Menschen in Europa nicht bewusst ist: Ein sehr grosser Teil der chinesischen Bevölkerung kann sich mit diesen Zielsetzungen der Regierung sehr gut anfreunden. Viele Chinesen*innen sind gar der Meinung, dass China eine Demokratie sei. Die chinesische Mentalität sieht in "Demokratie" nicht in erster Linie Mitbestimmung und Freiheit, sondern viel mehr Sicherheit und Wohlstand. Insbesondere müsse die Regierung sicherstellen, dass die gesetzten Ziele auch erreicht werden. Wenn die Regierung sich beispielsweise zum Ziel setzt, die Kriminalität um 5% pro Jahr zu senken. Dann ist ein relativ grosser Teil der Bevölkerung auch bereit mehr Überwachung und strengere Kontrollen über sich ergehen zulassen, um eben diese Ziele zu erreichen. Das europäische Sicherheit/Freiheit-Befinden ist diesbezüglich sehr differenziert. Die Frage nach der Verhältnismässigkeit von Sicherheitsmassnahmen wird in Europa viel schneller in den Raum geworfen.
Der "demografische Genozid" an den Uiguren
Wie seit einigen Jahren bekannt ist, gibt es in China auch eine systematische Unterdrückung der muslimischen Minderheiten der Uiguren und Kasachen.
China übt beispielsweise massiven Zwang auf Frauen aus. Zwangssterilisationen, Zwangsverhütung und Abtreibungen sind Mittel, um die Bevölkerungsentwicklung dieser Minderheiten nicht nur zu verlangsamen, sondern zu verhindern. Häufig wird dies auch als demografischer Genozid bezeichnet. Zudem werden die Minderheiten in Umerziehungslagern einer Gehirnwäsche unterzogen. Die Uiguren selber können seit Jahren nicht mehr ins Ausland reisen. Und seit ein paar Jahren reicht ein Anruf eines Uiguren ins Ausland, um in einem Umerziehungslager zu landen. Entsprechend wenig Informationen lagen im Westen bislang vor. Dennoch belegen immer mehr Informationsquellen, dass in China Minderheiten systematisch verfolgt, umerzogen und ausgerottet werden.
Was sagt die Schweiz dazu?
Gegenüber dem SRF hat das EDA wie folgt Stellung bezogen:
"Die Schweiz hat ihre Besorgnis über die Menschenrechtslage in Xinjiang bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht und benutzt dafür die ganze Palette an diplomatischen Werkzeugen, die ihr dazu zur Verfügung steht. So hat Bundesrat Ignazio Cassis bei seinem bilateralen Treffen mit dem chinesischen Aussenminister Wang Yi am 22. Oktober 2019 in Bern die Besorgnis der Schweiz deutlich gemacht.
Multilateral hat die Schweiz zuletzt einen gemeinsamen Brief an den Präsidenten des UNO-Menschenrechtsrats und an die Hochkommissarin für Menschenrechte im Juli 2019 zur Situation in Xinjiang unterzeichnet, in dem der ungehinderte Zugang der UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte nach Xinjiang gefordert wurde.
Im Rahmen der «Allgemeinen universellen Überprüfung» (UPR) hat die Schweiz am 6. November 2018 im UNO-Menschenrechtsrat in Genf die Schliessung der sogenannten «Umerziehungslager» in Xinjiang empfohlen. Im März 2019, an der 40. Session des Menschenrechtsrates, hat die Schweiz ebenfalls ihre Besorgnis über die Minderheitenrechte in Xinjiang öffentlich geäussert und eine unabhängige Untersuchung der UNO gefordert.
Die Einhaltung der Rechte der Minderheiten sowie die Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit sind ein Schwerpunkt der Schweizer Menschenrechtspolitik in China. Die Schweizer Botschaft verfolgt die Menschenrechtslage vor Ort genau."
Kim Rast
BWL-Studentin, Luzern, bis vor kurzem Präsidentin der Jungfreisinnigen Luzern.
Sollte man die Winterspiele in China politisch boykottieren?
Ja. Das Thema ist enorm wichtig und braucht eine hohe Aufmerksamkeit. Noch immer wissen zu wenige Menschen, was wirklich in China passiert. Dies merke ich beispielsweise am Feedback, welches ich erhalte, wenn ich auf Instagram eine Karikatur über Menschenrechtsverletzungen in China veröffentliche. Mir ist auch bewusst, dass die Sportler*innen nichts dafürkönnen, auch ich selbst war lange Zeit Leistungssportlerin und weiss deshalb, dass die Sportler*innen den Fokus auf den Sieg legen und nicht auf politische Probleme in China. Trotzdem bereitet es mir Sorgen, wie wir in ein paar Jahren auf diese Winterspiele zurückblicken werden. Diese groben Verletzungen der Menschenrechte kann man nicht mehr verneinen, sie passieren vor unseren Augen. Das sind keine Verschwörungstheorien, sondern die Beweislast ist, trotz eingeschränktem Journalismus in China, erdrückend. Können wir das wirklich verantworten? Gerade Probleme wie die COVID-19 Krise oder der Klimawandel haben uns glasklar gezeigt, dass wir mit Egoismus nicht weit kommen und wir kollektiv an Lösungen arbeiten müssen. Insbesondere störend ist die Tatsache, dass andere, kleinere Länder teilweise massiv härter unter Druck gesetzt werden als China. Dies, obwohl China die wohl deutlich schwereren Verstösse begeht. Es scheint, als kann China machen, was es will. Das dürfen wir so nicht akzeptieren und jede*r kann einen Beitrag dazu leisten. Deshalb werde ich diese Winterspiele bewusst nicht aktiv mitverfolgen.
Reto Weiss
Produkt Support Manager, Aargau, Jungfreisinnige Aargau.
Sollte man die Winterspiele in China politisch boykottieren?
Nein. Ein Boykott hätte wahrscheinlich keinen direkten Einfluss auf die Probleme und würde nur dazu führen, dass sich China noch mehr in die Enge getrieben fühlt. China wäre dann gezwungen die Aussenpolitik noch mehr zu verschärfen. Beispielsweise hat Donald Trump als US-Präsident eine massiv härtere Gangart gegen China eingeschlagen und wie wir nun sehen können, haben sich die Probleme nicht entschärft, sondern ganz im Gegenteil: Die Probleme wurden noch schlimmer!
Aktuell ist es wichtig den Dialog mit China zu intensiveren und gleichzeitig sicherzustellen, dass keine (weiteren) Abhängigkeiten von China entstehen, insbesondere in wirtschaftlichen Fragen.
Leidtragende eines Boykotts wären in erster Linie die Sportler*innen. Es ist Aufgabe der Politik, mit China Lösungen zu finden. Dass der Sport hier hineingezogen wird, ist nicht gerechtfertigt. Die Sportler*innen trainieren jahrelang, um an olympischen Spielen teilnehmen zu können. Ich erwarte, dass auch die Politik die Leistung der Sportler*innen angemessen wertschätzt. Bei einem politischen Boykott wäre dies nicht mehr der Fall.
Die Ukrainerin Valentyna Semerenko schiesst während der gemischten Staffel bei den Olympischen Winterspielen 2022. Geschossen wird in China aber nicht nur auf Zielscheiben, sondern gut und gerne auch auf Demonstranten.
Winterspiele in der Schweiz, Österreich und/oder Deutschland?
Gerade im deutschsprachigen Raum wird gut und gerne mit der Moralkeule geschwungen. Anstatt andere aber nur zu kritisieren, sollte man es auch besser machen. Ist liegt auf der Hand, insbesondere die Schweiz und Österreich sind klima- und wettertechnisch sehr gut für Winterspiele geeignet. Zudem haben die beiden Länder auch viel Erfahrung mit der Planung und Durchführung von diversen Wintersportanlässen.
Ironischerweise gab es aber 2013 in der Schweiz noch Bemühung sich für die Spiele 2022 zu bewerben, jedoch hat das Volk in Graubünden diesem Vorhaben bereits sehr früh per Volksabstimmung eine Absage erteilt. Vielleicht sollten auch wir im deutschsprachigen Raum wieder etwas mehr an Visionen glauben und der Welt zeigen, wie umweltfreundlich und menschenrechtskonform Winterspiele durchgeführt werden können.
Quellen / Weitere Links
NZZ - «Sperrt jeden ein, der eingesperrt gehört», sagte der KP-Chef von Xinjiang – drei Uiguren erzählen, was das für sie bedeutet
Merics oder ausgeschrieben das Mercator Institute for China Studies wurde 2013 gegründet, um die Lücken in der Praxis- und gegenwartsbezogene China-Forschung zu schließen.
SRF - Million Uiguren in Lagern - «Eines der grössten Menschenrechtsverbrechen unserer Zeit»
SRF - China will Uiguren dezimieren - «Uigurinnen müssen vierteljährlich zur Spiralen-Kontrolle»
20min - STAATSFEIND NR 1: Wieso fühlt sich China von Winnie Pooh bedroht?
https://www.20min.ch/story/wieso-fuehlt-sich-china-von-winnie-pooh-bedroht-997003112889
Bilder:
https://www.dailymail.co.uk/news/article-10406229/Why-DID-Winter-Olympics-Beijing.html
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